Auf Bärenpirsch mit Volunteer Bill Baker im kanadischen Riding Mountain National Park.
«Da, ein Bär», sagt Bill und bremst ab. Kann nicht sein, sage ich, hier gibts nur Schwarzbären, und das da war hellbraun. «Das war ein Bär», insistiert Bill. Die Farbe von Schwarzbären könne schwarz sein, aber auch jede andere Tönung bis hellbraun. Er muss es wissen, immerhin ist er seit über 50 Jahren regelmässig hier im Riding Mountain National Park.
Wir fahren auf dem Highway 19, der vom östlichen Parkeingang nach Wasagaming führt, dem Städtchen im Süden des Parks, in dem niemand permanent leben darf, das im Sommer aber wimmelt von Ferienhausbesitzern, Campern und Tagesausflüglern. Hier hat Bill Baker mit seinen Eltern jeweils seine Sommerferien verbracht, hier hatte er seinen ersten Ferienjob im Lebensmittelladen, sein erstes Praktikum als Student und seinen ersten Job nach dem Studium, im Büro des Parkinspektors.
Als Zehnjähriger war Bill dem Park Interpreter von Riding Mountain nicht von der Seite gewichen. Der Mann, der den Besuchern die geologischen, biologischen und kulturellen Eigenschaften des Nationalparks in der kanadischen Provinz Manitoba näherbrachte, machte aus dem Buben einen lebenslangen Fan des Parks und beeinflusste seine Berufswahl: «Ich wusste nach diesem Sommer, so etwas will ich auch mal machen.»
Bill studierte Geographie, arbeitete vier Jahre lang im Büro des Parkinspektors von Riding Mountain und landete schliesslich bei der Forstverwaltung der Provinz Manitoba, in deren Auftrag er Schulkinder den richtigen Umgang mit Lagerfeuern lehrte. Als er sich frühzeitig pensionieren lassen konnte, war für Bill klar, dass er zurück in die Nähe des Parks wollte.
Seither ist Bill Mitglied der Friends of Riding Mountain und einer der vielen Volunteers, die mit ihrer ehrenamtlichen Arbeit dafür sorgen, dass Trail Guides aktuell sind, dass der Nature Shop im Visitor Centre den Sommer über geöffnet ist, dass Kinder den Park in Camps und Workshops erleben und Erwachsene einen Triathlon im Sommer oder einen Loppet im Winter bestreiten können. Fast jeder Park in Kanada wird von solchen Friends unterstützt.
Bill hat inzwischen einen weiteren Bären entdeckt, einen schwarzen diesmal, und den habe auch ich erkannt, bevor er rechtsumkehrt machte und im Gebüsch verschwand. Das Dumme mit Bären am Strassenrand ist, dass sie jeweils wieder verschwinden, bevor man die Kamera gezückt hat. Dasselbe gilt für Wild, Füchse, Wölfe. Einzig Elche lassen sich nicht so schnell stören und äsen häufig ungerührt weiter. Und der Bison ist viel zu schwerfällig, um wegen eines Autos reissaus zu nehmen.
Das Wildrind findet in Kanada immer weniger fruchtbares Grasland als Weidefläche. Im Riding Mountain National Park ist die Prärie eine der drei ausgeprägten Ökosysteme, neben dem nördlichen Nadelwald und dem Laubwald. Hier leben ein paar Dutzend Tiere in einem weitläufigen, befahrbaren Gehege. Gegen Ende Mai sind die Bisons noch auf der Winterweide und ausser Sichtweite. Nur ein einzelnes Tier ist durchs offene Zufahrtstor auf die Strasse gewandert und lässt sich das Gras am Wegrand schmecken.
Und manchmal kommt es vor, dass ein Bison in der Wildnis untertaucht. Jedenfalls macht ein Anschlag am Beginn des Strathclair Trails, der in der Nähe der Winterweide abgeht, auf die Gefahr streunender Bisons aufmerksam. Der Trail ist einer von 39 Wanderwegen, die im Guide beschrieben sind, der von den Friends of Riding Mountain in Zusammenarbeit mit der Parkverwaltung herausgegeben wird.
Gemütliche Spaziergänge gehören dazu, etwa der Holzsteg, der über den Ominnik Marsh gebaut wurde, einer von Bills Lieblingsorten im Park. «Die Farbenpracht im Sommer und das Vogelkonzert sind einmalig.» Andere Trails sind mehrstündige Wanderungen, ein paar führen tief ins Backcountry und sind nur mit Übernachten machbar. An 16 Stellen in der Wildnis kann man campieren, sofern man sich bei den Park Rangers registriert. Meldet man sich nicht zurück, wird eine Suche gestartet. Denn im Backcountry sagen sich nicht nur Fuchs und Hase gute Nacht, da haben auch der Bär und der Wolf ein Wörtchen mitzureden.
Bären sind Allesfresser. Und sie bedienen sich auch bei dem, was Menschen herumliegen lassen. Das ist nicht nur schlecht für die Opfer dieses Mundraubs, die nun keinen Proviant mehr haben, sondern vor allem für das Miteinander der beiden Spezies. Denn Bären auf Nahrungssuche, die bei Menschen fündig werden, verlieren ihre Scheu und werden zu Problembären. In Jasper, dem Städtchen in den Rocky Mountains, das mitten in einem Nationalpark mit Schwarzbären und Grizzlys liegt, hat man deshalb die bärensichere Mülltonne erfunden, die inzwischen überall verwendet wird, wo sich Menschen in Bärengebiet aufhalten.
Dass man im Bärenland unterwegs ist, regt die Fantasie beim Wandern ungeheur an. Man solle Lärm machen und Pfefferspray mitnehmen für den Notfall. Weder Beeren noch Pilze suchen, denn das tut der Bär schon. Wer wie ich allein unterwegs ist, was man auch nicht tun sollte, hat bald erwartungsvolle Angst als ständigen Begleiter. Oder ist es schaudernde Hoffnung? Ich möchte Bären sehen und bin gleichzeitig heilfroh, dass keiner hinter dem nächsten Baum hervorkommt.
So gehts wohl allen Touristen. Die Tiere sind einer der Hauptgründe für einen Trip in die Nationalparks, Objekte fürs Fotoalbum. Wenn auf dem Highway ein Auto am Strassenrand steht, gesellen sich schnell weitere dazu, denn dann gibts etwas zu fotografieren, und meist ist es ein Bär. Das Exemplar am Ufer des Medicine Lake in Jasper lässt sich in seiner Futtersuche durch die schnell anwachsende Menge nicht stören, blickt nur kurz in unsere Richtung und frisst dann weiter seine Gänseblümchen.
Wie hatte Bill gesagt: Bären haben einen ausgezeichneten Geruchssinn und hören gut, aber sie sehen zum Glück ausgesprochen schlecht.