Beas Welt

Über allen Wipfeln ist Unruh

Das italienische Livigno ist nicht nur Sport- und Shoppingparadies, es ist auch ein Hort unüberhörbaren Lebensgefühls

Mit den Schneeschuhen kann man der Musikberieselung davonlaufen

Mit den Schneeschuhen kann man der Musikberieselung davonlaufen

Endlich Stille. Wir stapfen mit Schneeschuhen durch den Wald, vor uns haben sich schon andere durch das hüfthohe Weiss einen Weg gebahnt, das Gehen fällt leicht. Daran könnte man sich gewöhnen: anstrengender, als auf breiten, platt gewalzten Wegen vom Dorf zur ersten Beiz im Skigebiet zu wandern, weniger technisch als Langlauf. Friedlich. Im Wald plärrt kein Lautsprecher, und die Hütte am Wegrand, deren Terrasse garantiert mit Schunkelmusik oder Hitparadensound beschallt würde, so wie jede Beiz und jeder Skilift in Livigno, ist heute geschlossen.

Livigno, hinter dem Engadin gelegen, heisst zwar auch Klein-Tibet, aber es ist kein Ort buddhistischer Ruhe. Das Hochtal in der lombardischen Provinz Sondrio erhielt den Spitznamen, weil es bis 1951 im Winter von Italien isoliert war. Seither wird der Passo di Foscagno freigeräumt. Dass es trotzdem ganzjährig bewohnt war, verdankt es Napoleon, der das Gebiet 1805 für zollfrei erklärte. Das ist es immer noch, und deshalb wälzen sich das ganze Jahr lang Horden von Einkaufstouristen durch die zwei autofreien Strassen des Dorfkerns. Dank der Lage auf 1800 m ü. M. ist Livigno ausgesprochen schneesicher und begeistert auch Wintersportler.

Die Pisten säumen das Tal beidseits

Die Pisten säumen das Tal beidseits

Sport wird hier grossgeschrieben. Die Hänge links und rechts sind mit 31 Gondelbahnen, Sessel- und Skiliften gut erschlossen, 40 Kilometer Langlaufloipen ziehen sich den Fluss Spöl entlang durchs ganze Tal, es gibt insgesamt etwa 5 Kilometer gespurte Schneeschuh-Rundstrecken, Skitouren, Wanderwege, Eiskletteranlagen – und Fat Bikes.

Fat Bikes sind in Livigno der letzte Schrei

Fat Bikes sind in Livigno der letzte Schrei

Wer das Velofahren auch im Winter nicht missen will, mietet sich eines der Mountainbikes mit extrabreiten Pneus und trainiert damit auf der Ebene seine Wädli. Oder nutzt im Skigebiet Mottolino den Bike-Park sowie eigene Aufstiegsanlagen, um auf den dafür präparierten Pisten zu flitzen. Wer es noch schneller und rutschiger mag, der besuche auf dem See beim Dorfeingang das Ghiacciodromo: Die Autorennstrecke aus Schnee und Eis wartet auf Schleuderkursabsolventen und Hobbyrennfahrer.

Mehr ist mehr: Buffets bieten vor allem viel

Mehr ist mehr: Buffets bieten vor allem viel

Auch Après-Ski kommt nicht zu kurz: von weitem hörbare Schunkelmusik, mitgrölende Skifahrer und Alkohol in Strömen. Zum Glück gibts in Italien zum Aperitif Häppchen: Nüssli und Chips oder Oliven, eingelegtes Gemüse und Fleischbällchen. Richtig edel ist das Aperitifbuffet im Hotel Concordia, währschaft im Hotel Bivio, wo der Bombardino draussen auf der Terrasse besonders gut geht: ein heisses Getränk aus Eierlikör, Whiskey oder Cognac und Schlagrahm. In Livigno heisst es, er sei im Tal erfunden worden, im Südtirol gilt der Drink ebenfalls als lokale Kreation, und offenbar gibt es ihn überall dort, wo Schnee auf Italien trifft. Nach zwei oder drei Gläsern ist man kaum mehr fähig, den Restauranttisch anzusteuern.

Willkommene Nebenwirkung: Durch die Kalorienbombe lässt sich der Musikbrei leichter ausblenden, der auch in den Bars und Restaurants allgegenwärtig ist – ein Tisch in einem gehobenen Esslokal schützt keineswegs davor. Da auch der Sound der Geschäfte bis nach draussen tönt, um so Kunden anzulocken, ist die einzige Frage: zugedröhnt werden oder sein?


Carossello 3000: Auch hier übertönt Musik die Stille Foto: TripAdvisor

Gegen den Kater hilft Skifahren. Am Vormittag ist die Seite mit dem Carosello 3000 angesagt, da schon von der Sonne beschienen, während Sportler nachmittags auf die andere Seite zum Mottolino wechseln. Die Gebiete ähneln sich, doch am Mottolino kommen Snowboarder auch im Snowpark auf ihre Rechnung. Beide Zubringerbahnen sind per kostenlosem Ortsbus erreichbar, der mit vier Rundkursen alle Winkel des lang gestreckten Dorfes erschliesst. Dessen – touristisches – Leben spielt sich auf den zwei autofreien Strassen ab, die von Hotels, Bars, Restaurants und Geschäften gesäumt sind. Denn Shopping, das ist im Zollfreigebiet die dominierende Sportart.

Duty free: Das Zauberwort lockt Shopper an

Duty free: Das Zauberwort lockt Shopper an

Anreise: Per Bahn/Bus in 3 Stunden ab Zürich via Landquart, Sagliains und Zernez nach Livigno Tageskarte: 44.50 Euro Allgemeine Infos: http://www.livigno.eu

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